Dienstag, 16. September 2014

YES OR NO...?

Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit ich diesen Blog begonnen habe - in erster Linie, um über meine Erfahrungen als österreichische "Auswanderin" in Schottland zu berichten. Natürlich war der Gedanke, meine zurückgelassene Familie und Freunde teilhaben zu lassen an meinem neuen Leben, aber wie das so ist, wenn man ein neues Leben beginnt: Irgendwann ist das "Neue" auch nicht mehr so neu und ein gewisser Alltag kehrt ein.
Außerdem beginnen sich immer mehr neue soziale Kreise zu etablieren und ersetzen somit teilweise die alten.

Genau dann ist es auch meist vorbei mit der Inspiration für einen Blog wie diesen.
Und während ich nicht sagen kann, dass mein Leben in Edinburgh nach all der Zeit langweilig geworden ist, so waren es doch eher kleine Verschiebungen des Fokus. Wie z. B. die Tatsache, dass ich seit gut einem halben Jahr nun wieder meinem kreativen Schaffen Raum gebe und zurück zur Malerei gefunden habe.
Allerdings hat mich das alles nicht dazu bewogen, diesen Blog wiederzubeleben. Die große Frage "YES" oder "NO" ist es, die mich dazu bewegt, und hier möchte ich nun gerne meinen persönlichen Blick auf die Dinge teilen.


Am Donnerstag dieser Woche wird in Schottland das zweite Referendum über die Unabhängigkeit des Landes (und ja, Schottland ist ein Land und keine Region) vom Vereinigten Königreich, der alten britisch-irischen Union, nach 1979 abgehalten. Alles bricht sich an der simplen Frage am Wahlzettel: "Soll Schottland ein unabhängiges Land sein?"

Nun hat fast die ganze Welt "Braveheart" gesehen und wird unweigerlich erst mal an William Wallace und seinen Schrei nach "FREEDOM!" denken, und das ist natürlich eine schöne Geschichte, hat aber mit der aktuellen Lage nicht viel zu tun (wie auch der Film zu großen Teilen frei erfunden ist).
Trotzdem geht es um Vieles - nicht zuletzt um Demokratie und das Recht der Selbstbestimmung einer Nation, die fundamental andere gesellschaftliche Ideale verfolgt als die Big Business Maschinerie und der Finanzplatz London.

Seit Monaten ringen die beiden Kampagnen nun um Zuspruch in der Bevölkerung, YES SCOTLAND vereint die im schottischen Lokalparlament alleinregierende SNP unter Alex Salmond, die Scottish Green Party und die Scottish Socialist Party, BETTER TOGETHER hingegen die Scottish Labour Party, die Scottish Conservative Party (Tories) und die Scottish Liberal Democrats.
Nachdem ich Anfangs eher verwundert über das langsame Anlaufen einer Debatte und die Zurückhaltung der meisten Menschen in diesem Punkt war, hat sich in den letzten Tagen ein richtiger Sturm entwickelt. Nach der zweiten Fernseh-Debatte kam Schwung in die Sache und plötzlich wurde überall diskutiert, sehr sachlich und argumentativ, sehr vorsichtig erstmal und wenig emotional. Facebook und Twitter waren voll von Artikeln, Meinungen, Debatten, Videos, die Medien haben hin und wieder angeheizt, indem sie Angst geschürt haben und alle möglichen Horror-Szenarien entworfen haben.

Und dann sind sie, meiner Meinung nach, einen Schritt zu weit gegangen und die Pankikmache wurde einen Tick zu aggressiv, ein kleines bisschen zu offensichtlich und zu orchestriert. Das war dann genau der Punkt, an dem die sozialen Medien ein Eigenleben entwickelt haben und die Menschen sich selber Quellen gesucht haben und gleichzeitig die Umfragen immer mehr in Richtung YES tendierten, zum ersten Mal sogar eine Mehrheit für die Unabhängigkeit prognostiziert wurde, wo bisher, besonders in der zurückhaltenden Westminster Regierung, fest von einer Mehrheit für das Camp NO ausgegangen wurde. Diese eine Umfrage hat umfassende Panik im BETTER TOGETHER Lager ausgelöst und hat zu noch mehr Panikmaßnahmen geführt - unter anderem eine Art "lovebombing", wo alle drei Leader der Parteien für einen Tag nach Schottland gejettet sind und David Cameron mit gebrochener Stimme erklärt hat, dass sein Herz brechen würde, wenn das Vereinte Königreich auseinanderbrechen würde.
Währenddessen hat Gordon Brown auch noch DEVO MAX versprochen, also ein Paket an zusätzlichen Rechten für Schottland, wenn es ein No wird.

Nun, wie das halt so ist mit Panikreaktionen, sie sind meist kontraproduktiv, und von vornherein war es keine gute Idee mit David Cameron in Schottland Werbung zu machen, denn der ist da in etwa so beliebt wie Vladimir Putin in der GAY Community!
Was ist also passiert? Die Medien haben sich wieder mal überschlagen mit Horrorgeschichten und nach und nach haben sich wiederholt Banken, Großkonzerne und Supermarkt-Ketten mit ihren Ankündigungen zu Wort gemeldet, ihre Headquarters aus Schottland abzuziehen oder vor Preiserhöhungen zu warnen.
All diese Dinge wurden nach kurzer Zeit als leere Drohungen entlarvt und als bekannt wurde, dass viele dieser Dinge auf "Anregung" einiger Politiker geschahen, und selbst die einseitige Berichterstattung der BBC offensichtlich wurde, kochte es noch einmal richtig hoch. Erstmals gab es Proteste vor dem BBC Scotland Gebäude in Glasgow und immer mehr Menschen, von denen ich wusste, sie hatten sich bisher für ein NO entschieden, kamen zu der Erkenntnis, dass sie manipuliert wurden und manche änderten ihre Meinung.

Jetzt, so kurz vor dem großen Tag, ist die positive Energie direkt spürbar und ich halte es nicht für unmöglich, dass es am Ende sogar eine klare Mehrheit für eine Unabhängigkeit geben wird.
Am Sonntag war ich bei einer Konzertveranstaltung in der Usher Hall in Edinburgh. Unter dem Motto "A NIGHT FOR SCOTLAND" hatten sich Bands wie Franz Ferdinand, Frightened Rabbit, Mogwai, McIntosh / Ross (Mitglieder von Deacon Blue) und Stanley Odd mit Amy MacDonald, Edi Reader sowie einigen anderen bekannten Größen zusammengetan und vor vollem Haus ihre Entschlossenheit demonstriert, ein neues Schottland zu bauen!

Es war eine elektrisierende Nacht, und für mich, die ich eigentlich so gar nicht zu Patriotismus tendiere, ist es natürlich ein seltsames Gefühl, so viele blau-weiße Fahnen zu sehen. Allerdings hab ich an diesem Abend auch deutlich gemerkt, wie sehr inkludierend diese Bewegung ist und dass es absolut nicht um Nationalismus geht, sondern darum, Dinge zu verändern und mit gebündelter, positiver Energie, Vertrauen in die Menschen zu setzen, die in diesem Land leben.

Ich werde also am Donnerstag mit YES abstimmen und kann es immer noch nicht so recht glauben, dass ich mitten drin bin in so einer historischen Zeit für Schottland.